Geschichte des Orientalischen Tanzes
1. Ursprung
Oft wird Orientalischer Tanz völlig zu Unrecht als einer der ältesten oder gar als ältester Tanz der Welt bezeichnet. In seiner heutigen Form ist er allerdings ein Bühnentanz, der erst Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde und auf Volkstänzen beruht.
- Tahiya Kâriôka
Häufig werden die Ursprünge im Alten Ägypten in vorpharaonischer Zeit gesucht, wofür Grabmalereien mit Darstellungen von Tänzerinnen angeführt werden, die auf isolierte Bewegungen schliessen lassen, wie sie typisch sind für Bauchtanz. Unberücksichtigt dabei bleibt, dass die altägyptischen Künstler keineswegs die Absicht hatten, die Wirklichkeit darzustellen, wie wir sie sehen, sondern wie sie “tatsächlich” war oder sein sollte. Bereits in den Anfängen ägyptischer Kultur wurde der Mensch in Bildern und Reliefs so gezeigt, dass der Kopf im Profil zu sehen war, Oberkörper und Lendenbereich von vorn, die Beine wieder von der Seite (dabei kann der Kopf gegenüber Beinen auch um 180 Grad verdreht sein). Diese Darstellungsweise wollte das “Charakteristische” betonen und nicht etwa tatsächlich ausgeführte Bewegungen andeuten, ob nun im Tanz oder in der Schlacht. Entsprechend lässt sich nicht einmal erahnen, wie die Alten Ägypter tatsächlich getanzt haben. Für Tanz kann es vor Erfindung des Films ganz einfach kein Quellenmaterial geben, und selbst genauste Textbeschreibungen oder Zeichnungen vermögen nicht wiederzugeben, wie der dargestellte Tanz wirklich ausgesehen haben mag.
Dass manche moderne Ägypter die Behauptung unterstützen, der Orientalische Tanz sei im Alten Ägypten entstanden, sagt leider ebenfalls nichts aus. Sie geben entweder wieder, was sie irgendwo einmal gehört haben oder versuchen, diesem Tanzstil durch das angebliche Alter ein besonderes Gewicht zu verleihen (so ähnlich wie manche Inder das Alter der Veden gern um ein paar tausend Jahre erhöhen).
Weiter verbreitet und gewissermassen seriöser ist die Ansicht, dass Bauchtanz ganz allgemein auf Fruchtbarkeitstänze zurückzuführen sei, nachzulesen beispielsweise im Brockhaus, der diesen Tanz allerdings auf “Rollen des Beckens” und “rhythmisch kontinuierliche Bewegungen der Bauchmuskeln” reduziert, dabei die Wichtigkeit von Armbewegungen und Schritten gänzlich ausser Acht lassend. Dieser mögliche, teils in Schwarzafrika vermutete Ursprung, klingt leise in Tänzen auf ägyptischen Hochzeiten noch nach, aber diese Sicht bleibt doch allzu vereinfachend und nichtssagend, liesse sich doch mit derselben Logik auch Beethovens Musik auf rituelles Trommelschlagen in der Steinzeit zurückführen. In heute noch praktizierten Heiltänzen mag man allerdings einen Beleg für die rituelle Herkunft sehen, obschon dies natürlich keinerlei Rückschlüsse auf Ort und Zeit der Entstehung zulässt. Schliesslich dürfen wir nicht vergessen, dass im Laufe der Jahrtausende Ägypten verschiedensten kulturellen Einflüssen ausgesetzt war und all die Eroberer, ganz besonders natürlich die Araber und Osmanen, kulturelle Spuren hinterlassen haben, die auch die ägyptischen Volkstänze beeinflusst haben müssen.
Tatsächlich gibt es keine einheitliche Körpersprache des Orientalischen Tanzes und grosse Unterschiede je nach Herkunft und Persönlichkeit der Tänzerin, was nicht nur zeigt, dass der Bühnentanz zahlreichen Einflüssen ausgesetzt war und ist, sondern auch, dass dieser Tanz letztlich immer wieder neu entsteht und sich auch heute noch wandelt.
2. Bis ins 19. Jahrhundert
- Naîma Akef
Bereits in Reiseberichten des 15., 16. und 17. Jahrhunderts findet ein lustbetonter Frauentanz Erwähnung, wobei die beschriebene Kleidung damaliger türkischer Mode entsprach und sich stark von den Darstellungen des 19. Jahrhunderts unterscheidet (Lüscher, Seite 10 ff). Zahlreich werden die Beschreibungen schliesslich im 19. Jahrhundert, als die Kolonialmächte sich anschickten, die Welt zu erobern. All diesen Reisenden ist gemein, dass sie von zu Hause nichts Derartiges kannten und von christlichen Moralvorstellungen geprägt waren, weshalb das Körperbetonte und Erotische oft besonders hervorgehoben wird. Da ihre Berichte für eine christliche Öffentlichkeit bestimmt waren, ist vermutlich nicht jeder ganz aufrichtig, wenn er sich an der “Anstössigkeit” dieser Tänze stört. Andere hingegen betonen, dass das, was sie im Orient zu sehen bekamen, deutlich weniger gegen gute Sitten verstosse als das, was sie aus ihrer Heimat kannten, sei dies nun Paartanz, Vorgänge auf Volksfesten oder “gewisse” Etablissements.
Damals wurde freilich noch nicht in den heutigen, zweiteiligen Kostümen getanzt, die entblössen, was oft besser verhüllt bliebe. Die traditionelle Kleidung war durchaus sittsam, wenngleich nicht für Moslems, da die Gesichter keineswegs immer verschleiert waren. Allerdings sind auch die Zeichnungen und Malereien von halb- oder ganz nackten Tänzerinnen kein reines Produkt der Fantasie, da bereits Napoleon für seine Truppen Etablissements nach französischem Vorbild einrichten liess, wo es auf europäischen Wunsch deutlich freizügiger zu- und herging als in traditionellen Aufführungen. Dabei wurde Tanz auch mit Prostitution verknüpft, wobei die algerischen Ouled Nail sich ihre Aussteuer traditionell nicht bloss mit Tanz, sondern auch ohne europäischen Einfluss mit Prostitution verdient haben sollen, der Lohn für ihre Gunst Teil ihrer kunstvoll gearbeiteten Kostüme. In dieser Hinsicht sind besonders die Fotografien von Lehnert und Landrock bekannt, entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Ouled Nail nicht nur in ihren wallenden Kostümen mit dem turmartigen, münzbehangenen Kopfschmuck zeigen, sondern auch nackt. Sie haben aber keineswegs nackt getanzt, sondern wurden von den Fotografen zu diesen Aufnahmen überredet (und auch dafür bezahlt).
Erotisch war also nicht die Kleidung, abgesehen davon, dass die Körper nicht durch Korsette verschnürt waren, sondern der Tanz als solches, beispielsweise die kreisenden Bewegungen des Unterleibes. Ted Shawn (1891 - 1972) amerikanischer Tänzer, Choreograf und Tanzpädagoge, zusammen mit seiner Ehefrau Ruth St. Denis Gründer der Tanzschule “Denisshawn”, beschreibt den Tanz der Ouled Nail folgendermassen:
“It is not a suggestive dance for the simple reason that it leaves nothing to the imagination, and because of this unashamed animality, revolts the average white tourist to the point of being unable to admire the phenomenal mastery which these women have of parts of the body over which we have no voluntary control at all.” („Es ist kein anzüglicher Tanz aus dem einfachen Grund, dass er nichts der Einbildung überlässt und wegen dieser von Scham völlig freien animalischen Körperlichkeit den durchschnittlichen weissen Touristen bis zu dem Punkt anwidert, wo er unfähig wird, die phänomenale Herrschaft zu bewundern, welche diese Frauen über Teile des Körpers ausüben, über die wir gar keine willkürliche Kontrolle haben.“ (Übersetzung F. Zimmermann)).
Doch kehren wir zurück zu den ägyptischen Tänzerinnen des 19. Jahrhunderts. Sie teilen sich in zwei Gruppen, die Awâlim und die Ghawâzi (Lüscher, Seite 25 ff.). Die Awâlim (sing. Alima), was laut Lüscher soviel wie “wissende, gelehrte Frauen” bedeutet. Sie waren in verschiedenen Fertigkeiten ausgebildet, unter anderem Gesang, Musik, Dichtkunst und natürlich auch Tanz. Sie unterrichteten in Harems und traten vorwiegend in den Häusern der Reichen und Vornehmen auf, dabei stets vor Männerblicken geschützt durch Vorhänge oder Holzgitter, wenn nicht gleich dadurch, dass sich die Männer in einem anderen Raum aufhielten. Diejenigen Awâlim, die auch bei häuslichen Festen niederrangiger Leute auftraten, im Hof oder im Freien, blieben dabei stets verschleiert. Die westliche Zivilisation, genauer die Franzosen, verdrängte die Awâlim allerdings aufs Land, da sie sich züchtig weigerten, vor den ungläubigen Männern aufzutreten. Weil sich unter französischem Einfluss wie bereits erwähnt die Sitten arg lockerten, verloren auch die verbliebenen Awâlim mehr oder minder ihren guten Ruf, und die Grenze zwischen Awâlim und Ghawâzi beginnt sich aufzulösen.
Die Ghawâzi, die öffentlichen Tänzerinnen, oft mit Zigeunerinnen gleichgesetzt, genossen deutlich weniger Ansehen. Ihre eigentliche Herkunft ist nicht ganz klar, wobei Lüscher einige vernünftige Argumente ins Feld führt, dass sie zwar keine Zigeuner gewesen seien, sondern aus einem anderen nichtägyptischen Volk stammen. Der Begriff dehnt sich jedenfalls auf eine ganze, heute im Verschwinden begriffene Volksgruppe aus, die den Lebensunterhalt ganz wie die Zigeuner (“Ghagar”) mit Musik, Tanz, Schaustellerei, Kesselflicken und Wahrsagerei verdienten und verdienen, wobei die meisten heute gezeigten Vorführungen von Lüscher als “touristische Attrappen” bezeichnet werden.
Diese Tänzerinnen jedenfalls traten nicht bloss öffentlich, sondern auch unverschleiert und vor Ungläubigen auf. Von ihnen ist in den erwähnten westlichen Reiseberichten die Rede, und sie sind es auch, welche die Fantasie der Europäer, insbesondere der Orientalisten, anregten. Sie führten bereits einen Schautanz auf, durch den sie den Lebensunterhalt ganz oder teilweise verdienten, und der gewissermassen eine Vorstufe modernen Bauchtanzes darstellt, jedoch weniger kunstvoll und ausgereift.
Von Awâlim und Ghawâzi beeinflusst, aber doch davon zu unterscheiden, bleibt der Volkstanz, wie er heute noch praktiziert wird. Dieser “Tanz für den Hausgebrauch”, durchaus als einfache Form des Orientalischen Tanzes zu erkennen, ist nach wie vor wichtiger Bestandteil ägyptischer Kultur (“Raqs Baladi”, “ländlicher Tanz”, im Gegensatz zum “Raqs Sharqi”, “östlicher Tanz”, der heute hauptsächlich als Orientalischer Tanz verstanden und gelehrt wird).
3. Orientalischer Tanz als Bühnentanz
- Vera Fokina und Michael Fokin im Ballett Scheherazade
Im Westen entwickelte sich der sogenannte “Orientalismus”, eine keineswegs wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Orient, eher eine unspezifische Freude am Exotischen, die Tatsachen wohl hauptsächlich als Anregung für die eigene Fantasie nutzte und mit den Märchen aus 1001 Nacht vermischte (nicht zu verwechseln mit ernsthafter “Orientalistik”, womit die Wissenschaft der orientalischen Sprachen, Literaturen und Kulturen bezeichnet wird). Gemälde und Zeichnungen entstanden, die in verklärter Romantik Haremsdamen, Sklavenmärkte und natürlich auch erotische Tänzerinnen darstellten, Bilder, die oft im krassen Widerspruch zur Realität standen (Ghawâzi entsprachen weder in Kleidung noch Aussehen dem westlichen Schönheitsideal). Erfundene Geschichten beschrieben Abenteuer im wilden Orient (z. B. Karl May) und sowohl Mode als auch Architektur trieben scheinorientalische Blüten. Diese fantasievolle Orientbegeisterung erstreckte sich selbstverständlich auch auf den Tanz, angeregt nicht zuletzt durch jene Tänzerinnen, die auf den gut besuchten Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts zu sehen waren (u. a. auch die Ouled Nail). Die bekannteste davon ist die 1893 in Chicago aufgetretene Syrerin “Little Egypt”, die allerdings trotz anderslautender Behauptungen in Wikipedia etc. keineswegs die erste war. Angeblich blieb sie in den USA und soll in diversen Burlesque-Aufführungen zu sehen gewesen sein; erwiesenermassen gab es dort zahlreiche Nachahmerinnen, die sich nach ihr benannten. Gerade die Kostüme der westlichen Nachahmer in Ballett, Ausdruckstanz und Varieté waren deutlich zeigefreudiger und erotischer als die Kleidung der Ghawâzi. All diese Gemälde, Erzählungen und Kostüme haben unsere Sicht des Orients bis auf den heutigen Tag beeinflusst, haben Klischees erschaffen, die sich hartnäckig halten, obwohl sie einer näheren Prüfung nicht standhalten, und werden auch noch in modernen Filmen oder Büchern geradezu zelebriert.
Europäische und amerikanische Ägyptenreisende des 19. Jahrhunderts hatten also teilweise ganz bestimmte Erwartungen, die sie erfüllt sehen wollten. Im Laufe der Zeit stellten sich die Tänzerinnen auf diese zahlungskräftige Kundschaft ein und passten sich teilweise an diese klischierten Vorstellungen an, ein weiterer Schritt in der Entwicklung zum heutigen “Raqs Sharqi”.
Was 1798 mit Napoleons Ägyptenfeldzug begonnen hatte, gipfelte in der britischen Besetzung Ägyptens 1882, wobei der europäische Einfluss die ganze Zeit über im Wachsen begriffen war. Mit Mehmed Ali (R 1805 - 1845), der sich durch die Vernichtung der Mameluckenbeis eine vom Osmanischen Reich beinahe unabhängige und erbliche Herrschaft als Pascha sichern konnte, begann eine unaufhörliche Modernisierung Ägyptens im westlichen Stil. Fabriken, Dampfmaschinen, Eisenbahn, ein neues Schulsystem und Postwesen entstanden mit Hilfe europäischer, hauptsächlich französischer Experten, während gleichzeitig Ägypter in Europa studierten. 1869 wurde der 1859 von den Franzosen begonnene Suezkanal fertiggestellt. Notiz am Rande: Nicht der bekannte Ferdinand de Lesseps ist der eigentliche Vater des Suezkanals, sondern der Österreicher Alois von Negrelli, dessen Konzept von der “Internationalen Kommission für den Suezkanal” angenommen wurde, da es als einziger der unterbreiteten Vorschläge ohne Schleusen auskam. Negrelli verstarb sechs Monate vor Beginn der Bauarbeiten (Quelle Brockhaus).
Mehmed Alis Enkel Ismaîl gilt als der eigentliche Vater des modernen Kairos, das er ohne Rücksicht auf die Kosten teilweise neu gestaltete. Moderne Bauwerke entstanden nach Pariser Vorbild und mithilfe desselben Stadtplaners, George Haussmann. Dabei wurden nicht nur neue Boulevards und Parkanlagen gebaut, sondern auch Kasinos, Cabarets und Nachtclubs, wo anders als in den traditionellen Kaffeehäusern auch getanzt und Alkohol ausgeschenkt wurde. Einige dieser Häuser waren im Grunde nichts anderes als Bordelle, während andere ein hohes Unterhaltungsniveau boten, mit hervorragenden Tänzerinnen und Musikern. Der Tanz war von der Strasse auf die Bühne gekommen, was auch eine neue Raumgestaltung der Bewegungen bedingte, während sich die Kostüme weiterhin den westlichen Vorstellungen über den Orient anpassten; sie wurden bunter und ausgefallener, waren reicher verziert, die Stoffe durchsichtiger. Dazu wurde mehr Schmuck getragen.
Nicht nur Tanz und Kostüme passten sich an, sondern auch die dazu vorgetragene Musik, die professioneller und abwechslungsreicher wurde, ebenfalls westlich beeinflusst, aber doch mit eigenem, ägyptischen Charakter.
Durch all diese Veränderungen hatte das Klischee mittlerweile das Original nach seinem Bild verformt. Die Entwicklung zum modernen “Raqs Sharq”“ war um 1900 allerdings noch nicht ganz abgeschlossen, vielmehr erhielt er gewissermassen den letzten Schliff durchs neu entstandene Kino.
4. Hollywood und das Goldene Zeitalter
- Sâmya Gamal
Die ersten Filme des ausgehenden 19. Jahrhunderts zeigten alltägliche Szenen wie den Bois de Boulogne, Arbeiter aus Lumières Fabrik am Feierabend aus dem Werktor strömend, an- oder abfahrende Züge, Varietékünstler oder Landschaften, einfache und kurze Dokumentaraufnahmen, an denen sich das Publikum vor allem deshalb erfreute, weil es sich bei den bewegten Bildern um eine grosse Neuheit handelte.
Gleichzeitig allerdings gab es erste Filme mit Experimenten, Motion-Stop-Tricks und anderen Spielereien, bis 1902 der erste Kurzspielfilm entstand, der viertelstündige “Die Reise zum Mond”. Es formte sich nach und nach das heutige Erzählkino, während die Zuschauer allmählich lernten, nicht alles für bare Münze zu nehmen, was sich ihrem Auge darbot und die neue filmische Sprache einigermassen zu verstehen. Es folgten Langspielfilme, als deren erster oft fälschlich “Birth of a Nation” (1915) von D. W. Griffith bezeichnet wird; es war jedoch der erste Film mit einer Laufzeit von über 100 Minuten, ein dreistündiges Machwerk, heute noch geschätzt wegen zahlloser technischer Neuerungen, zugleich berüchtigt für den geradezu erstaunlichen Rassismus. Zudem war es auch der bis dahin teuerste Film und der erste Blockbuster, den innerhalb eines Jahres eine Million Menschen gesehen hatten. Hier ist nicht der Platz, um näher auf den Film einzugehen, doch “Birth of Nation” glorifizierte den Ku-Klux-Klan und seine Entstehung. Der Klan war 1871 aufgelöst und kurz nach Erscheinen dieses Films neu gegründet worden. Mitte der 20er Jahre, auf der Höhe seiner Macht, hatte der KKK ungefähr vier bis fünf Millionen Mitglieder, nicht zuletzt wegen dieses ersten, vielleicht unfreiwilligen Propagandafilmes. Dies nur als Beispiel dafür, mit welcher Wucht und Macht das neue Medium auf die Menschen der damaligen Zeit wirkte, ob nun in den USA, in Europa oder auch Ägypten.
Bereits mit Beginn des Weltkrieges wurden die USA das führende Filmland, Hollywood die Traumfabrik, welche die ganze Welt mit ihren Bildern versorgte, beeinflusste und prägte. Die Produktionen waren technisch fortgeschritten, Erzählstrukturen standardisiert, immer aufwendiger Ausstattung und Effekte. Unter den zahllosen, eifrig hergestellten Kinofilmen fanden sich auch viele, welche in Ausstattung und Kostümen die alten Klischees des Orientalismus übernahmen. Die Tanzszenen selbst allerdings haben mit Orientalischem Tanz nur wenig zu tun, meist eine Art Modern Dance oder Ballett, sollten vor allem erotischen und exotischen Zauber ausstrahlen.
Diese Filme, in der ganzen Welt gezeigt, gelangten natürlich auch in die unterdessen entstandenen Kinos Ägyptens und beeinflussten in der Folgezeit nachhaltig die Gestaltung der Bauchtanz-Kostüme, die nunmehr mit der traditionellen Kleidung der Ghawâzi kaum noch etwas zu tun hatten.
Aber nicht nur Hollywoodfilme erreichten Ägypten, sondern auch die Technik. In den 20er Jahren wurden erste ägyptische Spielfilme gedreht (der erste 1923). Nach Erfindung des Tonfilmes entstanden auch hier — wie überall auf der Welt — Musikfilme, in denen natürlich auch getanzt wurde.
Die Zeit von den 40er bis zu den 60er Jahren gilt als “goldenes Zeitalter” des Orientalischen Tanzes in Ägypten, Kairo wurde das Filmzentrum der arabischen Welt. Die Tänzerinnen waren nicht bloss Staffage, sondern Darstellerinnen, die in der ganzen arabischen Welt Berühmtheit erlangten (gleichwohl sie von gläubigen Moslems natürlich aufgrund ihres für islamische Verhältnisse unsittlichen Verhaltens verachtet wurden). Grosse Orchester, teure Ausstattungen und natürlich ihr Talent machten Tänzerinnen wie Tahiya Kâriôka, Beba Aizzeddîn, Sâmya Gamal und Naîma Akef in Hunderten von Filmen zu Stars. Noch heute ist es ein Vergnügen, diese Tänze zu sehen, auch wenn der Stil etwas einfacher gehalten ist als mittlerweile üblich.
5. Bis heute
- La Jana (Henriette Hiebel)
Auch wenn in Ägypten seit den 70er Jahren keine Tanzfilme mehr produziert werden, sind die heutigen Tänzerinnen noch immer gut verdienende Stars in Clubs. Das heisst allerdings nicht notwendigerweise, dass alles, was man in Ägypten oder beispielsweise der Türkei als Orientalischen Tanz zu sehen kriegt, tatsächlich von hohem Niveau wäre. Gerade auch in der Türkei wird Bauchtanz oft mit Prostitution vermischt (zumindest gerüchteweise …).
Einerseits sind die Tänzerinnen zwar sehr angesehen, mehr noch als die Awâlim der früheren Zeit, werden andererseits jedoch von gläubigen Moslems zutiefst verachtet. Die Tänzerinnen treten nicht nur frivol gekleidet und unverschleiert vor männlichem Publikum auf, sondern auch vor Ungläubigen, den westlichen Touristen. Das verletzt religiöse Gefühle (mir sei allerdings die Anmerkung erlaubt, dass sich besagte Gefühle derzeit sehr leicht verletzen lassen und dass der Islam immer mehr fanatische Züge annimmt, die ans christliche Mittelalter erinnern, eine Entwicklung, die verständlicherweise auch moderate Regierungen in arabischen Ländern beunruhigt. Das Ganze wird nicht besser durch westliche Vorurteile gegenüber dem Islam, was sich z. B. in falsch zitierten oder gleich völlig frei erfundenen Koran-Zitaten im Internet zeigt).
Viele dieser Tänzerinnen (und Tänzer) kommen nach Europa oder den USA, um hierzulande ihre Kunst zu unterrichten. Uns Europäer hat der Bauchtanz übrigens über den Umweg über die USA erreicht, wo sich in den 60er Jahren zaghaft eine Bauchtanzszene zu entwickeln begann, in Europa bis in die 90er Jahre vor sich hindümpelnd, während seither immer mehr Frauen und sogar einige Männer von der Bauchtanzbegeisterung erfasst werden. Das bedeutet ebenfalls, dass Bauchtanz-Lehrerinnen geradezu wie Pilze aus dem Boden schiessen.
Trotz dieser noch immer wachsenden Beliebtheit bleibt die Tatsache, dass Orientalischer Tanz in kultureller Hinsicht bei uns noch immer ein Nischendasein fristet, von der grossen Mehrheit kaum beachtet. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Tanz teilweise unter dem Etikett “gesund” verkauft wird und dass nach wie vor gilt, dass es weder auf Figur noch Alter ankomme. Wird Tanz hobbymässig betrieben, gilt das mehr oder minder für alle Tanzarten, bezieht es sich aber auch auf die Auftrittspraxis, wird’s für das grosse Publikum etwas schwierig, vor allem, wenn die Technik nicht wirklich ausgereift ist.
Selbstverständlich gibt es grossartige amerikanische und europäische Tänzerinnen, in letzter Zeit auch häufiger aus Russland. Es ist mindestens so sehr ein Vergnügen, ihnen bei ihren Aufführungen zuzusehen wie Modern Dance oder Ballett, oft auch einiges erotischer. Allerdings sind sie ausserhalb der Bauchtanzszene kaum bekannt, womit ich auch schon dabei bin, mich bei oder in besagter Szene unbeliebt zu machen: Denn diese wirklich guten Tänzerinnen bilden nach wie vor die Ausnahme, zumal hierzulande die Praxis herrscht, auch wenig erfahrene Schülerinnen auf die Bühne zu schicken, wo sie dann eine entsprechend schlechte Figur machen, bejubelt einzig und allein von den Angehörigen dieser Bauchtanzszene (die gleichzeitig einen grossen Teil des Publikums ausmachen). Sie wissen die Schwierigkeiten zu würdigen, aber das “normale” Publikum sieht einerseits den meist etwas hohen Eintrittspreis und andererseits ein mitunter etwas erbärmliches Gehopse, das nicht wirklich dazu angetan ist, dass Orientalischer Tanz allgemein als ernsthafte Kunstform wahrgenommen wird. Allerdings, dies sei keineswegs versöhnlich erwähnt, auch einige der bekannteren Tänzerinnen überraschen durch seltsam fehlendes Körpergefühl. Im “normalen” Kunstbetrieb hätten sie nicht den Hauch einer Chance zu überleben und müssten im Prinzip mit Auftrittsverbot belegt werden.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Choreografien bei Aufführungen oft etwas gar in die Länge gezogen sind, 10 Minuten oder mehr, was bei fehlendem Bewegungsrepertoire schnell einmal langweilig wird. Nur sehr gute Tänzerinnen können ein nicht der Bauchtanzszene angehörendes Publikum auch über einen längeren Zeitraum begeistern.
Bei alledem bin ich durchaus der Meinung, dass Orientalischer Tanz es verdient, als Kunstform gleichwertig neben Modern, Ballett, Hip-Hop oder anderen modernen Tanzstilen wahrgenommen zu werden. Während schlechte Auftritte gegen gutes Geld dem Orientalischen Tanz an und für sich sehr schaden, hätten die guten Tänzerinnen es wirklich verdient, dass sich ein grösseres Publikum für sie interessiert und sie Gelegenheit erhalten, die weit verbreiteten Vorurteile gegen Bauchtanz abzubauen.
Eine Art Nachwort:
Bei der Recherche zu diesem Artikel ist mir die Art und Weise geradezu sauer aufgestossen, wie auf praktisch jeder Bauchtanzwebsite und in zahllosen Büchern mit der Geschichte dieses Tanzes umgesprungen wird, wilde Theorien, die völlig unbedarft übernommen und wiedergegeben werden, oft gänzlich frei von Logik und Geschichtsbewusstsein, teilweise wenigstens möglich, aber nie beweisbar. Positiv aufgefallen ist mir einzig und allein das Buch “Die Geschichte des Orientalischen Tanzes in Ägypten” von Barbara Lüscher, die sich als promovierte Ägyptologin und Tänzerin seriös mit dem Thema auseinandersetzt. Das angenehm zu lesende Buch sei an dieser Stelle allen Interessierten empfohlen, ebenso die Video-Serie “The Stars of Egypt”, die unverzeihlicherweise allerdings nicht auf DVD zu haben ist. In diesem unübersichtlichen Dschungel an Publikationen, die ich keineswegs alle lesen konnte und wollte, mag es durchaus weitere empfehlenswerte Arbeiten geben, die mir jedoch nicht aufgefallen wären.
Der überall verbreitete Unsinn jedenfalls, wo beispielsweise Pygmäen den Bauchtanz nach Ägypten gebracht haben sollen, wo er zu einem Gesundheitstanz hochstilisiert und damit als Kunstform niedergemacht oder zu “sakraler Erotik” aufgebauscht wird, wo Steinzeitler oder Römer sich bereits an Orientalischem Tanz erfreut haben sollen, hat mich dazu bewogen, für diese Website eine eigene kurze Geschichte des Bauchtanzes zu verfassen, um dieser Mischung aus blühendem Nonsens, Halbwahrheiten und ein wenig Tatsachen, den die Autoren wohl gegenseitig voneinander abschreiben, etwas entgegenzuhalten. Natürlich kann dieser Text nicht viel dazu beitragen, die hartnäckigen Mythen aus der Welt zu schaffen, aber wenn Orientalischer Tanz als eigenständige Kunstform ernst genommen werden soll, müsste man sich auch ernsthafter mit den Hintergründen auseinandersetzen. Aber Orientalischer Tanz wird dadurch nicht interessanter, dass man ihn auf prähistorische Zeiten zurückführt, sondern bloss unseriöser.
Darum mag ich nur diese eine Quelle nennen: Barbara Lüscher, Die Geschichte des Orientalischen Tanzes in Ägypten, herausgegeben im Diwan-Verlag, 2002
Copyright Text: F. Zimmermann
Die Bilder wurden freundlicherweise von Frau Barbara Lüscher zur Verfügung
gestellt.